Yeda: Softrobotics für den Beckenboden
In diesem Jahr reiht sich Yeda mit ihrem B-BH, dem BH für den Beckenboden, auf dem Markt neben anderen FemTech-Innovationen* (dt. weiblicher Gesundheitstechnologie) ein. Der kleine, aufblasbare Silikonring sieht zwar nicht aus wie ein BH, trägt aber geschwächte Beckenböden. Wie das Gerät funktioniert und warum wir es brauchen, erzählt uns Mitgründerin Anna Maria Ullmann.
Warum unterscheidet FemTech zwischen Geschlechtern?
Femtech sind Dienstleistungen, Hard- und Software für die Linderung gesundheitlicher Herausforderungen von Frauen. Wir sprechen von Frauen, da unser biologisches Geschlecht die Entstehung, Diagnose, Verlauf und Behandlung von Krankheiten beeinflusst.1 Der Gender-Data-Gap, also die mangelnde Repräsentanz von weiblichen Probandinnen in der medizinischen Forschung, zeigt die Drastik dieser Unterschiede. Nicht nur werden Büroräume an die Wohlfühltemperatur von männlichen Körpern angepasst, sondern Herzinfarkte bei Frauen aufgrund abweichender Symptomatik weniger oft diagnostiziert.2 Die Irrelevanz von Frauenleiden werden von gendersensibler Medizin und FemTech adressiert und Meilensteine im Leben der Betroffenen, wie Menstruation, Fruchtbarkeit, Schwanger- und Mutterschaft, Sexualität und hormoneller Gesundheit sichtbar gemacht und überwunden.3
„Im Jumphouse sitzen Mütter am Rand während Väter auf dem Trampolin springen.”
Mit der Mission, Pessare in einem aufwändigen Prozess an Körperformen anzupassen, hat das Gründungsteam, damals bestehend aus Dr. Kaven Baeßler und Yair Kira, am Vision Health Pioneers Inkubator Programm teilgenommen. Pessare sind feste Silikonformen, die den Beckenboden bei einer Dysfunktion tragen. Nach einer vaginalen Geburt, aufwärts der Menopause, bei Übergewicht oder durch regelmäßiges schweren Heben wird das Gewebe des Beckenbodens verletzt oder die Muskulatur gedehnt. Die Schließmuskulatur wird beeinflusst und in Extremfälle sinken Organe wie die Gebärmutter oder Blase ab (Prolaps). Da sich innere Körperformen wandeln, müssten individuelle Pessare in einem aufwändigen Anpassungsprozess immer neu hergestellt werden. Das Team entschied daher, von der festen Silikonform zu einem aufblasbaren Silikonring zu wechseln. Zu den Hilfsmitteln zählen neben Silikonformen heute Operationen, Beckenbodengymnastik, Botox sowie die Elektrostimulation der Muskeln.4
„Jede zweite Frau wird im Laufe ihres Lebens eine Beckenbodendysfunktionen erleben.”
Yeda wird vaginal bis hoch an den Muttermund eingeführt und sitzt in einem kleinen Hohlraum. Einmal in der richtigen Position, kann der Ring je nach Situation, Körperform und Beschwerden mit einer beliebigen Dosis Luft bepumpt werden und stoppt so die Symptome einer Beckenbodendysfunktion. Neben Harninkontinenz zählen dazu ein Senkungsgefühl und Schmerzen beim Anspannen der Körpermitte. Wer sich beim Sport mehr Unterstützung als im Alltag wünscht, kann den Ring mit mehr Luft aufpumpen. Am Abend oder nach dem Sport wird die Luft abgelassen und der Ring gereinigt verstaut. Den genauen Anwendungsprozess erklärt Anna in unserem Videopodcast ansehen.
„Ich habe Unternehmen immer wieder verlassen, weil eine Lernkurve mein persönlicher Treiber ist.”
Die Gründerin Anna erlebte die Berliner Startup-Szene schon immer als Insider. Sie begleitete Investitionsrunden und das Wachstum von Unternehmen von 14 auf 400 Mitarbeitende. Durch den Aufbau einer Niederlassung in den USA bahnt sie sich den Weg in Führungspositionen. Für die eigene Selbstständigkeit entschloss sie sich, weil ihre Lernkurve in Festanstellungen immer wieder stagnierte. Zuerst mit dem Fokus auf Customer Success, 2022 zum Thema Circular Economy (dt. Kreislaufwirtschaft von Produkten) und 2023 bei Yeda, damals noch Yonicore, als Chief Business Officer (CBO).
„Es ist leichter eine App auf den Markt zu werfen, als ein Medizinprodukt.”
Die Gründung eines Unternehmens im Bereich Health Care birgt besondere Herausforderungen. Ein Medizinprodukt zu entwickeln hat nicht nur rechtliche Implikationen, sondern auch finanzielle und zeitliche. Die Businessstrategin erzählt uns, dass der Bereich einen besonderen Weitblick erfordere, auch für die Zusammenarbeit mit Investor:innen und Krankenkassen, denn Medizintechnik benötige ein höheres Investment, insbesondere in der Anfangsphase.
Hersteller entscheiden selbst, ob sie den Markteintritt eines Gadgets als Medizinprodukt angehen wollen. Dafür kommt es auf das Vorliegen eines medizinischen Zwecks an, wie Diagnose, Behandlung oder Untersuchung.5 Für Produzent:innen bedeutet das ein Abwägen zwischen einem kosten- und zeitintensiven Markteintritt als Medizinprodukt inklusive Reimbursements durch Krankenkassen und stark reglementierter Werbung oder dem ressourcenarmen Launch ohne Zertifizierung.
„Mit Krankenkassen haben wir bereits gesprochen, aber Verträge müssen warten, bis wir den Weg gegangen sind.” Konkret heißt das, sobald Yeda auf dem Markt und zertifiziert ist. Für Ende des Jahres plant das Team, den Markt als nicht-medizinisches Produkt zu erobern und nachträglich eine Zertifizierung einzuholen. Der Prototyp ist aktuell 90% entwickelt.
Auf der Crowdfunding Plattform Kickstarter haben die drei bereits ihre Füße ins Wasser gehalten. Über diese öffentlichen Plattformen stellen sich Initiator:innen, von der Gründerin bis zum Künstler, der Öffentlichkeit vor. Wer von einer Idee überzeugt ist, kann Spendengelder zur Verfügung stellen. Nur ein Projekt, das innerhalb eines bestimmten Zeitraumes 100% des selbst auferlegten Zieles erreicht, erhält die Auszahlung der gesammelten Gelder und wird zugleich verpflichtet, das Projekt zum Leben zu erwecken. Geldgeber:innen werden mit exklusiven Einblicken in den Prozess belohnt. Der BBH war so beliebt, dass er durch die Community sogar mit 105% überfinanziert wurde.
Erfolg hatte das Unternehmen aber nicht nur auf dieser Plattform, sondern gewann den Deep Tech Award sowie den Publikumspreis der Creators Night in Berlin. Auf der Bühne erzählt die Gründerin, dass bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor Markteintritt, 87% der Frauen bereit wären Yeda kaufen würden.
„Yair hat ein Umdenken angestoßen, weil er seiner Mutter keine Pessare empfehlen wollte”
Yeda ist eine Schnittstelle von Produktdesign, Medizin und Businessprozessen. Für den großen Zuspruch ist nicht nur der Bedarf verantwortlich, sondern das starke Team hinter dem Produkt. Dr. Kaven Baessler, bringt als Urogynäkologin über 30 Jahre Erfahrung in das Unternehmen. Seit ihrer Promotion im Jahr 1994 setzt sie sich für den Beckenboden ein. Seit 2017 leitet sie das Beckenbodenzentrum in Berlin und ist Autorin der Leitlinien zur Beckenboden-behandlungen im DACH-Raum. Über die Jahre hat sich Frust auf der Suche nach einer zufriedenstellenden Lösung aufgebaut. Yair Kira, hat als Produktdesigner und Ingenieur für Pessarhersteller gearbeitet und Kaven über eine Studie an der Charité kennengelernt. Den Business Background stellt nun Anna als drittes Teammitglied.
„Es ist wichtig, darüber zu reden und die Leiden nicht zu akzeptieren.”
Yeda möchte nicht nur Linderung schaffen, sondern dem Leiden eine Plattform geben. Unternehmen können ihre Machtposition nutzen, um zu helfen, so Anna. „Durch das Anbieten von Workshops, Auslegen von Flyern und der Stellungnahme zu Implikationen auf die Arbeitsleistung.” Sie empfiehlt Betroffenen, die Einschränkungen in ihrem Leben nicht hinzunehmen und ihr Recht auf Lösungen einzufordern.
An die Zertifizierung anschließend, ist eine Kombination des Gerätes mit der App des Unternehmens gedacht. Aktuell funktionieren Soft- und Hardware noch autark, können also nicht miteinander kommunizieren. Während die App nur Trainingsübungen vorschlägt, soll der Ring später Biofeedback wie Temperatur, PH-Werte und Erfolge an das Telefon übermitteln. Das Training mit der App ist jedoch schon jetzt schon besonders effektiv, da der Ring die Organe in ihrer ursprünglichen Position hält. Damit sei auf Dauer neben dem Symptomstopp auch eine Rehabilitation möglich.
Wir wünschen den drei Gründer:innen einen erfolgreichen Markteintritt und freuen uns, Yeda bald in Stores zu sehen, damit vielen Betroffenen geholfen werden kann.
2 https://www.aerztinnenbund.de/Femtech_-_die_Hoffnung_auf_eine.3593.0.2.html
3 https://www.humanrights.ch/de/ipf/
menschenrechte/frau/gender-data-gap-frauen-daten
5 https://www.taylorwessing.com/de/insights-and-events/insights/2024/06/femtech-was-ist-das
*Anmerkung der Redaktion: Das Gender-Sternchen (*) dient als Verweis auf den Konstruktionscharakter von „Geschlecht“. Das Sternchen hinter „Frauen“ soll verdeutlichen, dass es sich auf alle Personen bezieht, die sich unter der Bezeichnung „Frau“ definieren, definiert werden und/oder sich sichtbar gemacht sehen. Im Hinblick auf Benachteiligung und sexistische Diskriminierung gegenüber Menschen, die sich nicht in der Norm von Zweigeschlechtlichkeit verorten können oder wollen, sehen wir von GründerStudios hier auch unsere Verantwortung gegenüber trans*, inter* und nicht-binären Menschen. Dabei sind wir uns bewusst, dass bereits die Einordnung geschlechtlicher Vielfalt unter dem Begriff „Frauen*“ eine Wiederholung diskriminierender Gewalt ist und somit nicht als Lösung, sondern nur als Prozess verstanden werden kann.
Hier findet ihr weitere alltagsfreundliche Ressourcen für gendergerechte und inklusive Sprache.