ForTomorrow

Mit wenigen Klicks CO2 bekämpfen: Wie Klimaschutz im Kapitalismus funktioniert

October 23, 2024
Das Gespräch auf Spotify hören

Im Interview: Ruth von Heusinger, ForTomorrow 

Das gemeinnützige Berliner Unternehmen ForTomorrow nutzt seine Spendenplattform, um EU-Emissionsrechte aus dem Markt zu kaufen. Mit Gründerin und CEO Ruth von Heusinger haben wir über ihre innovativen Ansätze als Investorin, Unternehmerin und Beirätin gesprochen, um den Klimaschutz in einer marktorientierten Welt voranzutreiben.

„Wir schützen nicht das Klima, sondern das Leben auf dem Planeten.”

Im Jahr 2015 haben sich 197 Staaten auf der Pariser Klimakonferenz geeinigt, eine Erderwärmung von deutlich unter 2 Grad zum vorindustriellen Zeitalter anzustreben. Ratifiziert wurde das von mittlerweile 180 Staaten, deren individuelle Beiträge alle fünf Jahre auf Effektivität überprüft und gesteigert werden. 

Doch bereits in diesem Jahr meldete der EU-Klimadienst Copernicus einen Anstieg der Durchschnittstemperatur von 1.28 Grad.1 Damit könnten wir im Jahr 2100 eine Erwärmung von knapp 3 Grad2  erreichen und die Klimarisiken für das Leben auf der Erde erheblich erhöhen. Dem entgegenzusteuern verlangt die Einsparung von CO2 und anderen Treibhausgasen. 

„Jede Tonne, die wir kaufen, landet nicht in der Luft.” 

Treibhausgase entstehen in fünf großen Bereichen unseres Lebens: Stromerzeugung, Herstellung von Gütern, Landwirtschaft, Transport und der Temperaturregelung unseres Umfelds. 

Der verpflichtende europäische Emissionshandel bildet mit ca. 9.000 Anlagen rund 40% der Treibhausgas-Emissionen in Europa ab.3 Neben der Industrie erfasst er auch den Luft- und Seeverkehr. Für die Zukunft ist die Erfassung des Brennstoff-, Verkehr- und Gebäudesektors geplant. Mit Emissionsrechten, die von Mitgliedstaaten vergeben, versteigert oder im Markt gehandelt werden, müssen CO2-Emittenten wirtschaften.

Entsprechend darf eine Tonne CO2 nur ausgestoßen werden, wenn ein Emissionsrecht für diese erlangt wurde. Wie in einem Markt üblich, bestimmt die Nachfrage den Preis. Um die Energiewende voranzutreiben, greift ForTomorrow in diesen Markt ein.

„Das System nutzen, um es zu schlagen.” 

Seit der Gründung im Dezember 2019 hat ForTomorrow bereits über 38 Tausend Tonnen CO2 kompensiert. Zum Vergleich: Damit können ca. 31 Tausend Menschen von Berlin nach New York fliegen.4 Statt auf das Wohlwollen der Menschen zu hoffen, ihre Gewohnheiten in den Bereichen Ernährung und Mobilität zu ändern, macht Ruth Klimaschutz einfach. Einmalig oder über ein Abo-Modell zu spenden bedeutet, dass Emissionsrechte aus dem Markt gekauft und stillgelegt werden können. Ein Teil der Spenden fließt in die Aufforstung von Mischwäldern, bisher die effektivste Methode, um Emissionen wieder aus der Luft zu holen. Über 80 Tausend Bäume wurden mithilfe von Unterstützer:innen auf diese Weise in den Boden gebracht.5 Langfristig geschützt werden die Bäume durch das Bundeswaldgesetz, denn bei der Abholzung eines Baumes werden ca. 4 Tonnen CO2 freigesetzt.

Rund 10 Prozent der Menschen, die uns unterstützen, kommen nicht aus Deutschland.”

Für die Arbeit, die Ruth täglich leistet, fließt kein Geld auf ihr Konto. Stattdessen finanziert sie sich aus einem Erbe und Investitionen. Unternehmen wie Google unterstützen das Projekt mit einem monatlichen Werbebudget von 10.000 Euro und kostenloser Software. Das Erbe will sie noch stärker für den Klimaschutz einsetzen - als Angel (dt. private Investor:innen) investiert sie in Projekte, die ihre Motivation teilen. 

Mit über 100 anderen Unternehmen hat sich ForTomorrow 2023 für das PHINEO-Wirkt-Siegel beworben und wurde neben 13 anderen Organisationen ausgezeichnet. Während des PHINEO Analyseprozesses werden Non-Profit Unternehmen unter die Lupe genommen und Maßnahmen zur Zielförderung vorgeschlagen. Im Fall von ForTomorrow wurde das Kontrollgremium ausgebaut. „Das ist wichtig, weil die Menschen dann nicht nur mir als alleiniger Geschäftsführerin vertrauen müssen.” 

Wie stark in den Emissionshandel eingegriffen werden kann, ohne das Instrument zu zerstören, determiniert Prof. Dr. Grischa Perino. Er sitzt im Aufsichtsrat und forscht an der Universität Hamburg unter anderem zu Regulierungsinstrumenten und der intrinsischen Motivation im Umweltschutz. Das Ziel sei nicht, die Industrie lahm zu legen, sondern ihre Rahmenbedingungen zu verschärfen. Aktuell sieht er die Grenze bei ca. 800 Millionen Tonnen - mit aktuell 38 Tausend Tonnen ist ForTomorrow davon sehr weit entfernt. Um bald auch im Ausland zu wachsen, hat das Unternehmen mehrere Stiftungen und Spender:innen an Board, als Pendant zu profitorientierten Investor:innen in Startups. 

„Beim Klimaschutz hängt alles zusammen, wie in einem Uhrwerk. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, müssen ganz bestimmte Rädchen gedreht werden.”

Die Gründerin hat einen Hintergrund in der Physik. Das hilft, die Auswirkungen von Maßnahmen auf das Klima auszuwerten und Lösungen zu finden, die wirklich helfen. Vor der Gründung der gGmbH arbeitete die Diplomphysikerin für das norwegische Unternehmen Statkraft, dem größten Erzeuger erneuerbarer Energien in Europa und der Klimaschutzorganisation Atmosfair. In dieser Zeit setzte sie sich mit dem Emissionsrechtehandel und dem Strommarkt auseinander. Beispielsweise gibt es im Strommarkt eine gängige Formel, den Strike-Preis zu berechnen, eine Höchstgrenze, zu welcher die Stromerzeugung profitabel ist und sich der Betrieb eines Kraftwerks lohnt. Aus Gründen der Profitabilität wurde Deutschlands modernstes Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg geschlossen und produziert nun den profitablen grünen Wasserstoff.

„Wir sind im kapitalistischen System gefangen und müssen gewinnorientiert wirtschaften”

Man möchte meinen, ForTomorrow stehe bei den großen Verschmutzern unserer Zeit in Kritik. Ob CO2-Emittenten grau oder grün produzieren, sei jedoch nur eine Frage des Preises. Gefangen im kapitalistischen System bedeutet das: Wird der Markt durch weniger Emissionsrechte verknappt, wird die grüne Produktion kostengünstiger und damit attraktiver. Und auch den Bedenken privater Akteure begegnet das Unternehmen im Internet geübt: Denn Mehrkosten können zwar auf Privathaushalte abgewälzt werden, aber ohne Klimaschutz sind die gesamtgesellschaftlichen Kosten um ein Vielfaches höher.

„Das Schönste ist, wenn Privatpersonen, Unternehmen und Politik zusammenarbeiten.”

Ruth bringt als Vorstandsmitglied vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft Rahmenbedingungen voran. Sie wünscht sich ein weltweit verpflichtendes Emissionshandels-System und dass Einnahmen aus dem Handel an Akteur:innen zurückfließen, die Emissionen aus der Luft holen.  Auf politischer Ebene mitzuspielen sieht sie als Werkzeug, die Gerechtigkeit im System voranzubringen. 

Um unsere Emissionen drastisch zu reduzieren, fordern Klimaschützer:innen die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingung, eine Ankurbelung von Technologie, die einer breiten Masse zugänglich gemacht wird sowie Aufklärung. Dass wir auf eine neue Ära zusteuern, kann man aktuell in der UK verfolgen. Nach 142 Jahren hat es sich Anfang Oktober 2024 als erstes G7 Land von seinem letzten Kohlekraftwerk verabschiedet.7

Auf vielen dieser Ebenen ist Ruth heute tätig. Wir wünschen ForTomorrow viel Erfolg beim Wachsen!

Quellen:

1https://climate.copernicus.eu

2https://www.tagesschau.de/wissen/klima/unep-erwaermung-cop-100.html

3https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/der-europaeische-emissionshandel#luftverkehr-im-emissionshandel-

4https://www.atmosfair.de/de/kompensieren/flug/

5 https://www.fortomorrow.eu/de/aufforstung

6https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/der-europaeische-emissionshandel#luftverkehr-im-emissionshandel-

7https://www.e3g.org/news/last-uk-coal-power-station-closes/

Ressourcen: 

https://beyondfossilfuels.org/coal-exit-tracker/

https://www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html

https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/klimaschutz-abkommen-von-paris.html

How to avoid a climate disaster, Bill Gates, 2021

Hannah Trute

Hannah ist studierte Juristin aus Berlin. Bei Gründer Studios stellt sie Gründer:innen in das Spotlight, das sie verdienen. Ihre Mission ist es, Recht und PR zu vereinen und komplexere Themen zugänglicher zu machen.